„VOM ENTWEDER ODER ZUM UND“
Seit 16 Jahren arbeite ich als Ergotherapeut in eigener Praxis und begleite seither Menschen jeden Alters, die aufgrund von Unfall, physischer, psychischer Erkrankung, oder durch erschwerende Umweltbedingungen in ihrem selbstständigen Handeln beeinträchtigt oder gefährdet sind.
Im Mittelpunkt der Ergotherapie steht der Mensch, der sich über sein Tun definiert.Tätigsein und Handeln können sind menschliche Grundbedürfnisse, die in den Aktivitäten des täglichen Lebens (Bereiche der Selbstversorgung, Arbeit, Freizeit) ihren Ausdruck finden.
Im Rahmen der Ergotherapie wird die Beziehungs- und Handlungsfähigkeit mit konkreten, individuell angepassten, klientenzentrierten und bedeutungsvollen Tätigkeiten (ausdruckszentrierte-, kompetenzzentrierte-, interaktionelle Methoden) erweitert und die Erfahrung eigener Fähigkeiten ermöglicht.
Von Beginn an faszinierte mich besonders der psychisch-funktionelle Bereich, die Arbeit mit, oder besser gesagt, die Begleitung von Menschen mit psychischen Beschwerden, die in ihrer Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und ihrer Lebensqualität eingeschränkt sind. Wiederkehrende seelische Krisen, sich wiederholende Aufenthalte in der Psychiatrie, eine lange Odyssee an Arztkontakten, eine sich verfestigende Chronifizierung von Erkrankung, Einschränkungen in der Alltagsbewältigung, soziale Ausgrenzung, finanzielle Nöte gehören u.a. zu ihrem alltäglichen Erleben.
Mit all den einhergehenden Folgen.
Oft fühlen sich „meine“ Klienten/ Klientinnen nicht verstanden, auf Diagnosen reduziert, allein gelassen und in ihren Bemühungen sich zu erklären nicht gehört. Destruktive familiäre Beziehungen und sich wiederholende, festgefahrene Konflikte im sozialen Umfeld kommen hinzu. Ihnen fehlt oft der Zugang zu den eigenen Ressourcen, Wünschen und Bedürfnissen. Sie erleben sich u.a. als Spielball ihrer Gefühle, Körpersymptome, Kognitionen, oder verlieren sich in zwischenmenschlichen Konflikten. Alles in ihnen ist z.B. schwer, depressiv, ausweglos, verängstigt. Selbstwirksames Handeln kennen sie kaum. Dazu kommen Selbstvorwürfe, Abwertung und Verurteilung des Selbst. Ihre Gedanken-, Gefühls-, Erlebens- und Handlungsmuster sind starr, wiederkehrend, unbeweglich und kaum veränderbar. Die Art und Weise, wie sie mit sich und der Welt in Kontakt sind, zeugt von ihrer Lebensgeschichte, von dem, was sie in ihrer Kindheit und in der Folgezeit erlebt und erfahren haben, was sie gelernt haben, was erwünschtes
und weniger erwünschtes Verhalten ist, wie sie zu sein haben, was von ihnen erwartet wird, usw.
Ich denke dabei gerade an den Beginn unserer Erdenzeit. Wir kommen auf die Welt und sind. Wenn wir glücklich sind, sind wir glücklich, wenn wir hungrig sind, sind wir hungrig, wenn wir wütend, trotzig, müde, gelangweilt, uvm. sind, dann ist es so - ganz selbstverständlich. Wir sind. Lebendig mit dem was ist. Wir leben aus dem was ist. Dann erfahren wir Beziehung in all ihren Erscheinungsformen. Verschiedene Bindungsqualitäten, Autonomie und Abhängigkeit, liebevolles Wahrgenommen werden oder auch nicht, Zuneigung, Zärtlichkeit, Erziehung, Reglementierung, Be- und Abwertung, Macht und Ohnmacht, Vorgelebtes, uvm. Unser Selbstbild und unser Bild von der Welt formt sich. Die Art und Weise, wie wir Menschen, Situationen, Dinge und uns selbst wahrnehmen, bewerten, Rückschlüsse daraus ziehen, und wie wir uns dazu verhalten, entspringt diesen Lebenserfahrungen.
Und gleichzeitig spüren wir bereits als Kind, was sich stimmig, was sich gut und richtig anfühlt - dem Ausdruck zu geben, was eben gerade ist.
Die Traurigkeit über den Verlust des Kuscheltiers ist spürbar, die Wut darüber, von der Mutter bestraft zu werden, will herausgeschrien werden, die Belehrungen der Angehörigen, was richtig und was falsch ist, bringen Scham hervor. All ́ diese Gefühle sind Ausdruck des gegenwärtigen Erlebens.
Der Impuls sich zu offenbaren, sich „verletzlich“ zu zeigen, musste unterdrückt werden. Wir tun alles um der (möglichen) Bestrafung, Nichtbeachtung, dem Liebesentzug durch die Bezugspersonen auszuweichen. Notwendigerweise spalten wir als Kind Aspekte unseres Erlebens von unserem ganzheitlichen Erleben ab, und lagern sie im Verborgenen unseres Selbst. Es bilden sich Hilfskonstruktionen, Überzeugungen, etc. aus, nur um
das Erlebte nicht mehr zu spüren. Ohne nachhaltigen Erfolg. Im späteren Verlauf klopft dieses Beziehungslose, Ungehörte, Unausgesprochene und doch Wahrgenommene in unterschiedlichen Situationen unseres Lebens immer wieder an. So als ob es sagen möchte: „Hör mich, sieh mich, fühle mich, nimm mich wahr - ohne Bedingung. Ich bin da. Mich gibt es. Ich möchte leben.“ All dies wirkt sich auch auf unser in der Welt sein, auf unsere Handlungsfähigkeit aus. Mit dieser Erfahrungs-Brille kann der Mensch auch in komplexen Situationen sich, seine soziale, physikalische und kulturelle Umwelt wahrnehmen und sein Leben adäquat und individuell gestalten - oder eben auch nicht.
Beim Lesen des Geschriebenen merke ich, dass dies alles schon von dem Focusing-Stoff durchwebt ist, der mich seit 7 Jahren begleitet, bzw. das, was in mir schon war, mehr und mehr ans Licht gehoben hat und es deutlicher hat erscheinen lassen. Trotz der ganzheitlichen Herangehensweise in der Ergotherapie, Krankheit oder Gesundheit nicht auf biologische, funktionelle und chemische Vorgänge und Körperfunktionen zu reduzieren, sondern u.a. psychosoziale Komponenten (Selbstbild, Werte, Rollen, Gewohnheiten, uvm.) und Umweltfaktoren zu berücksichtigen, fehlte mir etwas. Ich wollte den Dingen auf den Grund gehen. Nach mehreren psychotherapeutischen Weiterbildungen, Selbsterfahrungsseminaren und der Abschlussprüfung zum Heilpraktiker für Psychotherapie begann ich die Focusing- Ausbildung.
Der körper- und erlebensorientierte Ansatz des Focusing
Wie ich Focusing erlebe...
Focusing eröffnet mir seitdem jeden Tag auf ́s Neue, wie ich mit mir in Beziehung bin, fernab von Konzepten, Vorstellungen, Konstruktionen über mich und die Welt. In Beziehung mit mir, mit meinen unterschiedlichen inneren Aspekten sein - das ist eine erlebbare Qualität, körperlich spürbar, unmittelbar und lebendig.
Wenn ich aufmerksam und absichtslos mit den noch unklaren Empfindungen in meinem Körper bin, die zu jedem Thema, jeder Situation auftauchen können, kann sich mein Inneres zu seiner Zeit, auf seine Art und Weise zeigen - Nicht Ich entscheide, Es entscheidet, wann es den nächsten Schritt tut. Was ich tun kann, ist Da sein. Absichtslos, interessiert, offen, bedingungslos, liebevoll zugewandt. Im Vertrauensvollen Sein mit diesem zunächst Unklaren, Nicht Geformten, Nichtgewussten, dass, was auch immer sich zeigen mag, kommen wird, wann und wie auch immer.... Sich dort niederlassen, an diesen inneren Erlebensrand, dem Ort, bevor Sprache beginnt, und es geschehen lassen. Von dort aus können sich innere Bilder, Gefühle, Empfindungen, Gedanken, Worte, Impulse ent- falten und neue Erlebens- und Handlungsschritte hervorbringen. Mit Focusing betrete ich den inneren Resonanz-Raum, in dem Beziehung stattfindet, in dem meine ganze Lebensgeschichte eingefaltet ist und darauf wartet, wahrgenommen zu werden. Nichts in mir möchte vergessen, verändert, verbessert oder therapiert werden. Alles in mir braucht ein verbindliches, liebevolles Gegenüber, das vermittelt, „ich bin und bleibe da, erzähl mir von Dir.“
In-die-Welt-bringen der eigenen Wahrheit.
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