Halloween ist in Deutschland ein Fest, das ursprünglich wenig mit der hiesigen Kultur verbunden war. In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass der Reformationstag, der am selben Datum begangen wird, zunehmend weniger Beachtung findet. Gleichzeitig nimmt die kommerzielle Bedeutung von Halloween zu: Kinder verkleiden sich und sammeln Süßigkeiten, während Geschäfte spezielle Dekorationen und Produkte anbieten.
Die Ursprünge von Halloween liegen im keltischen Fest Samhain, das vor über 2000 Jahren in Irland, Schottland und anderen Teilen der britischen Inseln gefeiert wurde. Samhain markierte das Ende des Sommers und den Beginn des Winters. In dieser Zeit glaubten die Kelten, dass die Grenze zwischen der Welt der Lebenden und der Toten besonders durchlässig sei. Um sich vor umherwandernden Geistern zu schützen, wurden Feuer entzündet und Masken sowie Kostüme getragen.
Ein möglicher Umgang mit gruseligen Wesen und angsteinflößenden Phänomenen zeigt sich auch in anderen Kulturen. Einen besonderen Zugang bietet Milarepa (* 1040; † 1123), der buddhistische Weise. In einer der bekanntesten Lehrgeschichten des Buddhismus berichtet er, wie während seiner Meditation furchterregende Dämonen in seine Höhle kamen. Zunächst versuchte er, sie zu vertreiben, doch sie wurden nur noch bedrohlicher. Daraufhin versuchte er, sie zu belehren und erklärte ihnen das Dharma, die Lehre des Erwachens. Die Dämonen lachten jedoch nur und blieben. Schließlich erkannte Milarepa, dass die Dämonen nicht außerhalb von ihm existierten, sondern Ausdruck seiner eigenen Ängste, Zweifel und Verletzungen waren. So lud er sie ein und sagte:
„Ihr seid willkommen.
Bleibt, so lange ihr wollt.
Ich lade euch alle ein – setzt euch, lasst uns zusammen Tee trinken.“
Im selben Moment lösten sich die Dämonen auf und verschwanden.
Was für Strategien zeigt uns Milarepa auf, um mit Dämonen umzugehen?
- Die erste, allzu bekannte ist das Vertreiben, was nur sehr selten gelingt. Bei kleinen Kindern können die Eltern aufgrund der Bindung des Kindes an sie, manchmal Monster vertreiben. Der gerne verwendete Monsterspray ist ein nettes Beispiel dafür. Für uns Erwachsene taugt diese Methode meist nicht, oder hast du schon mal eine Angst, einen Schmerz, eine tiefsitzende Verletzung erfolgreich vertrieben? Wenn ja, dann würde mich sehr interessieren, wie genau das ging.
- Als nächstes versucht Milarepa die Dämonen zu belehren. Hierzu fällt mir ein Comic von nichtlustig.de ein: Ein großer Tintenfisch hält einen kleinen Tintenfisch beim Radfahren lernen. Der große sagt: „Ich lass dich jetzt los, Benjamin. Denk einfach immer daran, du kannst dir nichts brechen.“ Der kleine Tintenfisch antwortet: „Meine Angst ist nicht rational.“
- Die erfolgreiche Strategie ist es dann, die Dämonen willkommen zu heißen und sie einzuladen, Platz zu nehmen. Genau dies ist es, was wir im Focusing tun: Wir laden das, was uns bedrückt, quält oder ängstigt ein, sich zu zeigen und die innewohnende Botschaft zu enthüllen.
Die Geschichte von Milarepa erzähle ich älteren Kindern immer wieder gerne, um zu zeigen, wie im Focusing der Umgang mit Monstern, Dämonen und Geistern gelingen kann. Wenn das, was uns als bedrückendes Monster erscheint, erst einmal da sein darf, wird es oft schon ein wenig leichter. Indem Schmerz, seelische Verletzungen oder Ängste eine Gestalt bekommen, entsteht das „Ich und mein Thema“, das die Grundlage jedes Focusing-Prozesses ist.
Vor nicht allzu langer Zeit gab es in meinem Therapiezimmer wieder einmal eine „Teeparty“.
Am Anfang der Therapie redeten und malten wir uns allmählich näher zueinander, weniger schwere Themen wurden benannt. Bis schließlich die Sprache auf das „Fremde“ kam, das dem Kind immer wieder spürbar mit der Hand ins Kreuz drückte und ihm unangenehme Dinge sagte. Vor allem abends kam es heraus und hinderte das Kind am Einschlafen. So erzählte ich in der Stunde die Geschichte von Milarepa und fragte, ob wir beim nächsten Mal wohl eine Teeparty geben wollten. Das Kind nickte und fand schon da gleich einen Namen für das Wesen.
In der folgenden Stunde stand ein dritter Stuhl bereit, daneben verschiedene Materialien, um das Wesen zu symbolisieren. Ein schwarzes, großes Tuch wurde zum Repräsentanten auf dem Stuhl drapiert. Das Kind verlieh dem schwarzen Wesen eine Stimme, und wir unterhielten uns zu dritt. Am Ende der Stunde verabschiedeten wir uns vom schwarzen Wesen und voneinander. Vor der nächsten Stunde stellte ich wieder Stuhl und Tuch bereit, doch das Kind erzählte, dass es nicht mehr nötig sei – das bedrohliche Wesen sei nicht mehr aufgetaucht.
Vielleicht können wir Halloween als Erinnerung nutzen, mit unseren eigenen Gespenstern, Geistern oder wie immer sie sich symbolisieren, einen focusingorientierten Umgang zu pflegen.
Beitragsbild von Alexa from Pixabay

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